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sten aber wirkt die Verunsicherung, dass es morgen auch mich tref-

fen kann. Für die Einsteiger gilt erst einmal Warten und vor allem gilt

für sie, dass Bildung zwar immer noch vor Arbeitslosigkeit am besten

schützt, aber ein hoher Bildungsabschluss keineswegs Garant für

eine Eintrittskarte in die Berufswelt ist und schon gar nicht dafür,

dass es dort auch vorwärts geht. Das bildungsoptimistische Auf-

stiegsversprechen erodiert.

Das heißt aber nicht, dass alles in Auflösung ist. Trotz Zunahme aty-

pischer Jobs überwiegt nach wie vor das sog. Normalarbeitsverhält-

nis. Innerbetriebliche Arbeitsmärkte sind unterschiedlich heftig in Be-

wegung, die branchentypischen Auftragskonjunkturen schwanken,

für die Randsegmente der Belegschaft geht es rein und raus (starke

Fluktuation) – und die Leistungsanforderungen steigen. Das bedeu-

tet, dass Schritt und Tempo halten können anstrengender geworden

ist. Dabei sein und Mithalten können bezieht sich aber nicht allein auf

die Arbeitswelt, auch im sozialen Leben steigen die Ansprüche und

Erwartungen. Wer angesagte Locations meidet oder dort in falschem

Gewand oder mit unpassender Rede auftritt, gerät ins Abseits. Pierre

Bourdieu hat uns durch seine meisterhafte Studie den Blick für die

„feinen Unterschiede“ geschärft und zugleich die Mechanismen kul-

tureller und sozialer Distinktion aufgezeigt.

Viele Menschen neigen in Drucksituationen dazu, die „falsche Poli-

tik“, die da oben – bei der PEGIDA sind es die korrupten Eliten, die

Systemparteien – verantwortlich zu machen. Als wichtiger Teil des

schlechten Systems kommt auch der Sozialstaat in die Schusslinie,

weil er immer nur den Falschen gibt: den Faulen, die sich nicht bewe-

gen, weil es ja auch ohne Arbeit geht und weil mit Arbeit am

Monatsende meist auch nicht mehr im Börsel ist als ohne; den

Schlauen, die wissen, wie man sich Pfründe erschleicht; den Giftlern,

die sich in der Frühpension breit machen. Und natürlich dürfen bei

dieser Aufzählung die Diktatoren der 3. Welt nicht fehlen, die ihre vie-

len Frauen mit Designerklamotten und Luxusreisen ausstatten. Und

genau dafür zahlt man dann hohe Steuern!

Klaus Dörre spricht in einem beachtenswerten Essay, dessen Kern-

gedanken er zugleich auf der Salzburger Armutskonferenz 2015 vor-

trug, von der „arbeitnehmerischen Mitte“ der weitgehend gewerk-

schaftlich organisierten Arbeiter und Angestellten, die sich mit aller

Entschiedenheit von den Unterklassen abgrenzen. Denn was sie von

dieser Welt der Prekarisierten wahrnehmen, wirkt bedrohlich für ihr

eigenes Selbstverständnis. Abstoßend dabei vor allem die scheinba-

re Hingabe in eine Sozialstaatsabhängigkeit, was jeglicher Idee von

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Politische Bildung

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