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Politische Bildung
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Steuerung kritisch beleuchtet. Die Auseinandersetzung mit der Kluft
zwischen Arm und Reich als strukturelle Ursache sozialer Problem-
lagen bildet den Abschluss des Beitrags.
Soziale Fragen aus globaler Perspektive
Die soziale Frage wird im 21. Jahrhundert immer noch meist national
oder in einem regionalen Kontext gedacht. Längst aber ist auch die
soziale Frage zu einer globalen geworden. Armut, Hunger, Unter-
und Mangelernährung, geringe Chancen auf Veränderung der Lebens-
verhältnisse und damit fehlende Zukunftsperspektiven sind für viele
Menschen im globalen Süden normaler Alltag. Obwohl sich die so-
zioökonomischen Daten in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt
verbessert haben, weist die soziale Lage in vielen Weltregionen Ähn-
lichkeiten mit den historischen Missständen im 19. Jahrhundert auf.
Die gravierendsten sozialen Probleme sind absolute oder extreme
Armut
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, Hunger und Mangelernährung, fehlender Zugang zu sau-
berem Trinkwasser, schlechte Gesundheitsversorgung und fehlende
Systeme zur sozialen Sicherung sowie geringe Chancen auf Bildung
und sozialen Aufstieg. Die Suche nach besseren Lebensbedingungen
verstärkt die Landflucht und den Zuzug in die Ballungszentren. Heu-
te leben circa 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. Die Zahl
der Menschen, die in städtischen Elendsvierteln leben, beträgt min-
destens 860 Millionen. Die UNO prognostiziert eine Verdopplung, bis
2030 könnten etwa zwei Milliarden Menschen davon betroffen sein
(vgl. BMZ 2014). Extreme Armut, beengte Wohnverhältnisse und so-
ziale Diskriminierung machen die Slums zu sozialen Konfliktherden.
Aber nicht allein die Tatsache, dass Armut, Verelendung und soziale
Ungleichheit weltweite Phänomene sind, macht die soziale Frage zu
einer globalen. Die sozialen Herausforderungen sind vielmehr Teil
von krisenhaften Entwicklungen, die sowohl in ihren Ursachen als
auch in ihren Folgen nur vor dem Hintergrund globaler Rahmenbe-
dingungen und Entwicklungen analysiert werden können. Im so-
zialwissenschaftlichen Diskurs wird seit einigen Jahren von einer
multiplen Krise (u.a. Brand 2009) oder einer Vielfachkrise (Demirovi
ć
et al. 2011) gesprochen. Im Mittelpunkt steht dabei die Wirtschafts-
und Finanzkrise, die keinesfalls als beendet gilt, deren Management
vor allem durch die Austeritätspolitik neue Krisen hervorgebracht
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Extreme Armut ist als Zustand definiert, in dem sich ein Mensch die Befriedigung seiner
Grundbedürfnisse nicht leisten kann. Relative Armut beschreibt Armut im Verhältnis zum
jeweiligen Umfeld eines Menschen.