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Politische Bildung
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sion und den Krieg auch zu einem weiteren historischen Erfahrungs-
repertoire der sich entwickelnden sozialen Bewegungen.
Allein diese kurze und schematische Rückschau in die jüngere Ge-
schichte des arabischen Raums ließ für die Workshopteilnehmenden
sichtbar werden, dass wir historische Zusammenhänge benötigen,
um jene Momente der Revolte, des Aufruhrs und der sozialen
Bewegungen rekonstruieren zu können. Ohne die Kenntnis derartiger
historischer Zusammenhänge bliebe eine Einschätzung bruchstück-
haft, eine Einordnung der Revolte wäre schlichtweg nicht möglich.
Zugleich stellt sich dabei immer die Frage, welche Geschichte(n)
warum wie relevant ist bzw. sind, d.h. uns als wichtig erscheinen.
Damit untrennbar zusammenhängend stellen sich die Fragen, woher
wir überhaupt unser Wissen über diese Geschichte beziehen und was
wir eigentlich nicht wissen (können), kurz gesagt: Geschichte ist nicht
lediglich eine Erzählung über vergangene soziale Realitäten, sondern
selbst wiederum ein umkämpftes Feld, innerhalb dessen Deutungs-
hoheiten über (historische) Entwicklungen verhandelt werden. Im
Zusammenhang mit den Revolten von 2011 bedeutet das etwa, dass
das nach wie vor wirkmächtige Narrativ über eine friedliche, vor allem
von Studierenden aus den sozialen Mittelklassen getragene Protest-
bewegung, die sich nach demokratischer Mitbestimmung sehnten,
alternative Erzählstränge über die Revolte ausblendet. Soziale und
gewerkschaftliche Kämpfe in den 2000er Jahren in Ländern wie Tu-
nesien und Ägypten, militante ArbeiterInnenstreiks oder etwa die
aktive Partizipation von marginalisierten sozialen Klassen an den
durchaus militanten Protesten finden in einer derartigen Erzählung
keinen Eingang mehr, weil dies offensichtlich den Deutungsrahmen
einer vermeintlich friedlichen Bewegung von Menschen, für die öko-
nomische Ausbeutungsverhältnisse nicht wesentlich seien, stört.
Insofern – so die Schlussfolgerung im ersten Abschnitt unserer Work-
shops – benötigt die historische Rekonstruktion der Revolten von
2011 immer auch ein selbstreflexives Moment und die Klärung, was
wir wissen und warum wir was (nicht) wissen (können). Es benötigt
die Klärung der eigenen (ideologischen) Standpunkte sowie der eige-
nen Standorte, von wo aus wir sprechen.
Ad 2. Eigene Einschätzungen und Analysen zu den Revolten
und ihren Begrenzungen
Im Anschluss an jene grundsätzlichen Reflexionen zu (Nicht-)Wissen
und eigenen Standpunkten diskutierten die Workshopteilnehmenden
in Arbeitsgruppen jeweils eine der folgenden Fragestellungen: