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Politische Bildung

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Unter dem Schlagwort „Entnazifizierung“ fielen nicht nur die juristi-

sche Verfolgung von ehemaligen Nationalsozialisten und die (de facto

nur vorübergehende) Entfernung derselben aus öffentlichen Funktio-

nen, sondern auch ein groß angelegtes, die unterschiedlichsten Be-

reiche des Lebens tangierendes „Re-Education-Programm“.

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Darun-

ter kumulierten umfassende, von den vier Besatzungsmächten je-

doch sehr unterschiedlich motivierte und unter ideologischen Ge-

sichtspunkten durchgeführte Reformen und Interventionen, u.a. in

den Bereichen Bildung, Kultur und Medien, mit dem Ziel, demokrati-

sche Prinzipien in der Gesellschaft zu verankern. (Benz 2005)

Als populäres Erklärungsmodell für den wirtschaftlichen Aufschwung

der Nachkriegszeit wird häufig ausschließlich auf den Fleiß und die

Leistungsbereitschaft der österreichischen Bevölkerung rekurriert.

Ein Aspekt, der nicht unwesentlich ist, aber nur einen Teil in einem

großen Geflecht aus nationalen und internationalen Faktoren dar-

stellt. (Vgl. Rathkolb 2015, S. 106f.) Zu den letzteren gehörte der auf

Anregung des amerikanischen Außenministers und späteren Nobel-

preisträgers George C. Marshall initialisierte und nach ihm benannte

Marshallplan. Das offiziell betitelte European Recovery Program (ERP)

hatte zum Ziel, umfangreiche ökonomische Wiederaufbauhilfe für

Teile des zerstörten Europas zu leisten. Davon versprachen sich die

Vereinigten Staaten nicht nur eine Linderung der durch den Krieg

bedingten Not, sondern auch zahlreiche ökonomische Vorteile (z.B.

Schaffung von Absatzmärkten), aber vor allem eine strategische

Intervention im sich manifestierenden Kalten Krieg. Österreich – in

stetiger Balance zwischen Neutralität und Westintegration – profitier-

te im Vergleich zu anderen europäischen Ländern im besonderen

Maße von diesen Leistungen, die einen wichtigen Mosaikstein in der

wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des Landes darstellten.

(Vgl. Gehler 2009, S. 25 bis 40)

Zivile Kontrolle des Polizei- und Militärapparats:

Chiles unheilbare Wunden

Während der 11. September zu einer allgemein verständlichen Chiffre

für die terroristischen Anschläge auf das World Trade Center gewor-

den ist, wird in Chile mit diesem Datum häufig etwas anderes, doch

ebenso tragisches assoziiert. Am 11. September 1973 kam es in dem

südamerikanischen Land zu einem Militärputsch, der unter der Füh-

6)

Die deutsche Übersetzung „Umerziehung“ stieß verständlicherweise bei den Zeitgenossen

auf wenig Gegenliebe. (Vgl. Benz 2005, S. 35)