es in der herrschenden Theorie durch technischen Fortschritt ge-
macht wird. Ich gehe eher davon aus, dass wir so etwas wie unter-
schiedliche kapitalistische Spielanordnungen haben. Beispiel
1920er-Jahre: Börsenboom, Börsenkrach, Krise. In der Krise werden
diese neoliberalen Rezepte wirksam – Sparpolitik, Lohnkürzung usw.
bis zum Wirtschaftskrieg der Länder gegeneinander. Das führt in die
Weltwirtschaftskrise und die Talsohle im langen Zyklus. Die Talsohle
im vorherigen Zyklus dauerte von 1873 bis 1890. Der nächste Zyklus
war von 1929 bis 1949. Dann kommt die realkapitalistische
Aufschwungsphase bis in die 1970er-Jahre. Jetzt sind wir mitten in
der Talsohle – wo genau hängt von unserem Handeln ab. Sehr
schnell kommt man aus solchen Krisen nicht heraus. Ich erinnere
mich 2008 als die Lehman Bank Pleite ging, als das Weltfinanzsys-
tem an der Kippe stand, da schrieben selbst konservative Chefre-
dakteure in der FAZ: „Der Neoliberalismus ist am Ende“. Das hat mir
einen großen Heiterkeitsanfall beschert, weil mir völlig klar war, eine
Ideologie die 40 Jahre gebraucht hat, die Köpfe zu erobern, die geht
unmöglich, auch nicht durch einen noch so heftigen Finanzschock,
aus den Köpfen wieder raus. Und ab März 2009, als die Aktienkurse
wieder zu steigen begannen, setzte das ein, was eben Sigmund
Freud den Abwehrmechanismus der Verleugnung und Verdrängung
nennt – auf gut wienerisch, „sagen wir es war nix und wir machen
weiter wie vorher“, es geht wiederum mit Aktienboom und ähnlichem
voran. Wenn man nach einem Finanzschock weitermacht wie bisher,
vertieft sich die Krise immer mehr.
Über Sparpolitik und Lohnkürzungen haben wir bereits gesprochen.
Deshalb ist der Lernprozess auch so schwierig, wenn eine Krise 40
Jahre gebraucht hat, um sich zu vertiefen, dann bedeutet das, dass
die Therapie der Eliten Teil der Krankheit sind. Aber ein Arzt, der sel-
ber der Überträger der Krankheit ist, ist der Letzte der das erkennen
kann bzw. zugeben würde. Deshalb wurde Griechenland als Sünden-
bock gefunden. Der Sündenbock im Alten Testament war ein
Schuldentlastungsritual. Einmal im Jahr hat man die eigenen Sünden
auf einen Ziegenbock übertragen und der wurde dann in die Wüste
geschickt – Griechenland sozusagen aus dem Euro rausgeschickt.
Erschreckend zu sehen, wie Zeitungen und Politiker die Griechen als
„faul“ oder „nervend“ bezeichneten. Die Griechen hatten eine
Schuldentlastungsfunktion. Es war natürlich ideal, denn: Der Staat ist
in Griechenland tatsächlich in einem eher desaströsen Zustand, der
Staat hat extrem falsche Budgetdaten geliefert, was die neoliberale
Grundthese bestätigt: der Staat ist schuld. Das oberste Prinzip zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit war: Arbeit muss billiger werden,
Arbeitsmärkte müssen dereguliert werden, kollektive Lohnbildung
Politische Bildung
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