in den Köpfen der Eliten verankert werden konnten, deswegen spre-
che ich von Marktreligiosität. Es erstaunt mich nach wie vor, dass die
Sozialdemokratie nicht die Fähigkeit hatte, die Gefährlichkeit dieser
Ideologie für den Sozialstaat zu dechiffrieren oder zu zeigen, was
dahinter steckt.
Wenn jemand sagt, im Namen der Marktfreiheit müssen wir Arbeits-
losengeld kürzen, müssen wir Pensionssysteme auf die Kapital-
deckung umstellen usw., dann können wir wieder diesen direkten Zu-
sammenhang zwischen neoliberalem Denken und finanzkapitalisti-
schem Interessen erkennen. Wer hat denn ein Interesse, dass ein
Pensionssystem auf das absolute ineffiziente und unsichere Kapital-
deckungsverfahren umgestellt wird? Ja natürlich die Akteure des
Finanzsektors. Würden wir das Gesundheitswesen wieder privatisie-
ren, wäre das für die Versicherungswirtschaft fantastisch und diese
könnte riesige Geschäftsfelder eröffnen.
Vielleicht noch ein kurzer Rückblick: Die jetzige Krise begann eigent-
lich im Jahr 1971 also vor fast 45 Jahren. Der Prozess der Krisen-
vertiefung verlief so langsam, dass er den Charakter eines Sach-
zwangs bekam. Ich vergleiche das gerne mit den Jahren von 1929 bis
1933: Da ist in vier Jahren das passiert, was jetzt in 45 Jahren pas-
siert ist. Ja wenn wir in vier Jahren so einen gigantischen Anstieg der
Arbeitslosigkeit gehabt hätten, wäre natürlich mehr Bewegung ent-
standen, aber so sagt man, „man kann eh nix machen“. Und damit
entstand einer der größten Zwischensiege der neoliberalen Ideologie.
In die Köpfe der einzelnen hat sich dieser Gedanken eingepflanzt,
„…dann muss ich halt selber schauen, das ich weiter komme,..“.
Diese Individualisierung, „…ja, okay, ich krieg halt nur einen prekären
Job, aber besser als gar nichts und Teilzeitarbeit ist eh nicht so
schlecht, …“, diese „Internalisierung von einer Entmächtigung“
würde ich als ein zentrales Problem benennen.
Das Verhalten der griechischen Bevölkerung ist so unfassbar bewun-
dernswert. Was würde bei uns passieren, wenn Menschen so de-
klassiert würden wie in Griechenland? Wenn Millionen Menschen
nicht einmal eine soziale Krankenversicherung mehr haben? Dieses
Verhalten der griechischen Bevölkerung, diese Selbstemanzipation
ist wiederum etwas, das mir große Hoffnung gibt.
Heinz Pichler:
Die Frage wäre, ist man gegenüber dieser „Markt-
religiosität“ ohnmächtig oder gibt es da irgendeine Alternative? Wie
ist es überhaupt möglich, dass ein Volk solche Demütigungen über-
haupt ertragen kann, ohne dass es eine Revolution gibt?
Politische Bildung
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