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denster Verfahren. Also zum Beispiel zum Gelten der Mehrheitsregel:

Wenn wir miteinander nichts zu tun haben und spinnefeind sind und

uns jeden Tag erschießen wollen, wird es schwer sein, dass wir mit-

einander eine Grundlage haben, bei der wir sagen können: Die

Mehrheitsregel entscheidet und wenn auf der einen Seite mehr ste-

hen als auf der anderen Seite, dann akzeptiere ich als Minderheit die

Mehrheitsentscheidung.

Und damit sind wir gleich auch bei einer der wesentlichen Gefähr-

dungen angelangt: Wenn man zulässt, dass in einer Gesellschaft die

Interessen zu weit auseinander driften, die Ungleichheit in einer Ge-

sellschaft unerträglich wird oder dass große Teile der Bevölkerung

völlig beschäftigungslos sind oder einkommenslos, während andere

über Superreichtümer verfügen, dann wird der Gesellschaft die ge-

meinsame Grundlage entzogen. Und die gemeinsame Grundlage ist

aber die Grundvoraussetzung für das Akzeptieren von demokrati-

schen Verfahren. Daher ist ja dieser Satz, dass Demokratie ohne

soziale Gerechtigkeit langfristig nicht haltbar ist, ein absolut richtiger.

Weil, wenn die Klassen-, Einkommens- und Vermögensunterschiede

zu groß sind, dann wird die Gemeinsamkeitsgrundlage der Demo-

kratie entzogen. Und das ist wahrscheinlich eine der größten Heraus-

forderungen, mit denen wir heute zu tun haben.

Und die zweite große aktuelle Herausforderung besteht natürlich in

der politischen und institutionellen Beantwortung der Globali-

sierung. Das ist ja ein Vorgang, bei dem man den Eindruck hat, dass

durch das Entgrenzen aller wirtschaftlichen und sozialen Vorgänge

der Einzelne dem immer hilfloser ausgesetzt ist, dass die Entschei-

dungen heute in den großen Firmenzentralen und Großkonzernen

getroffen werden. Und wir gehen vom Anspruch aus, der natürlich

auch eine Illusion sein kann, dass das europäische Einigungsprojekt

ein Instrument ist, um auch die Globalisierung in einem gewissen

Ausmaß zu demokratisieren. Das setzt aber voraus, dass es so

etwas wie europäische Demokratie gibt und europäische Demo-

kratie gibt es natürlich nur dann, wenn: Erstens auch hier genügend

Gemeinsamkeit vorhanden ist, die derzeit eher weniger wird und

daher kommt es ja zur Herausbildung verschiedenster Nationa-

lismen als eine Antwort auf diese Situation, und zum Zweiten wer-

den immer mehr Entscheidungen, die aber ganz wesentlich für das

Leben der Menschen sind, der demokratischen Willensbildung ent-

zogen.

Heute steht die Demokratie vor großen Herausforderungen – sie

muss wieder neu erfunden werden, nicht von ihren Grundprinzipien

Politische Bildung

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