Heinz Pichler:
Und diese Auswirkungen einer Krisensituation im neo-
liberalen Sinn haben nicht nur Länder wie Griechenland gespürt,
sondern auch andere europäische Länder und auch Österreich. Wie
diese konkreten Auswirkungen einer derartigen Krise in einem Land
nachzuvollziehen sind – würden Sie Frau Anastasiou uns ihren Kri-
senbefund für ihr Land, für den städtischen und vor allem den länd-
lichen Bereich, liefern?
Katerina Anastasiou:
Vielleicht auch einleitend zurück zum Kernthe-
ma des Tages, nämlich Demokratie, denn da sind die Beispiele sehr
gravierend. Im Jahr 2010 hat es in ganz Europa plötzlich technokra-
tische Regierungen gegeben, also nicht gewählte Regierungen, die in
den Krisenländern die Krisenbewältigung übernommen haben. Das
war im Fall Griechenlands die Regierung von Loukas Papadimos.
Keiner hat einen Mucks gemacht, als es hieß, die Technokraten sol-
len übernehmen. Die Demokratie wurde praktisch auch schon im
Jahr 2010 abgeschafft.
Im Jahr 2011 gab es die großen Indignados-Bewegungen, also Pro-
testbewegungen in Europas Süden, also in Spanien, in Portugal, in
Frankreich, in Griechenland, oder in Italien. Es waren Bewegungen,
in der die Menschen mit dem Verlangen für direkte Demokratie mit
sehr viel Repression zurückgeschlagen wurden. Es waren hundert-
tausende Menschen auf der Plaza del Sol in Madrid, hunderttausen-
de Menschen in Griechenland, das hat alles simultan stattgefunden,
kurz nach dem „Arabischen Frühling“. Sehr viele junge Menschen,
die mit dieser Prekarisierung der Arbeitswelt und mit den Nachfolgen
des Neoliberalismus in ihrem Alltag klarkommen mussten, haben die
Plätze besetzt und haben gesagt, „…okay, wir müssen jetzt anfangen
mitzubestimmen,…“.
Im Jahr 2012 gab es in Griechenland plötzlich Wahlen. Man hat wirk-
lich erleben können, wie die damaligen Wahlen, die Massenmedien,
aber auch die europäischen Eliten, klar Position gegen die Linke in
Griechenland genommen haben. In diesem Jahr wurden in
Griechenland auch die Kollektivverträge abgeschafft – da hat übri-
gens auch keiner einen Mucks gemacht. Es war wieder der Neo-
liberalismus, der gekommen ist, um die Krise zu bewältigen, aller-
dings hat er, der Neoliberalismus per se, die Krise im Sinne der
sozialen und politischen Krise in Europa geschaffen oder verursacht.
Zusätzliches Detail: 2012 war auch jenes Jahr, in dem die Partei
„Goldene Morgenröte“, die sich selbst als nationalsozialistisch
nennt, den Weg ins griechische Parlament geschafft hat.
Politische Bildung
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