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Heinz Pichler:

Die neoliberale Wirtschaftsideologie hebelt das demo-

kratische Gemeinwesen systematisch aus. Herr Dr. Schulmeister, sie

haben in ihrem Buch „Mitten in der großen Krise. Ein New-Deal für

Europa“ dafür das Beispiel der Abschaffung von Arbeitnehmerrech-

ten oder die Einschränkungen in der Gesundheitsversorgung er-

wähnt. Könnten sie in diesem Zusammenhang den Begriff der „Aus-

terität“, im Kontext einer volkswirtschaftlichen Sicht, näher erläutern?

Stephan Schulmeister:

In die alltägliche Sprache übersetzt heißt es:

„Den Gürtel enger schnallen!“ Der Staat soll seine Ausgaben senken,

die Arbeitnehmer sollen ihre Lohnansprüche senken, die Arbeits-

märkte sollen dereguliert werden. Kollektivverträge gehören wie in

Südeuropa abgeschafft. In Deutschland und Ostdeutschland sind

nicht mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer überhaupt von Kollek-

tivverträgen erfasst. Grund ist der Ausstieg aus der Tarifgemein-

schaft, weil Unternehmer sich nicht mehr gebunden fühlen.

Warum hat sich aber so ein Konzept durchgesetzt? Das ist der ent-

scheidende Punkt und das beeindruckende an der neoliberalen

Denkstruktur. Ihr Ausgangspunkt ist das Modell von Angebot und

Nachfrage am Markt. Dieses Denkschema wird auf alle Probleme wie

etwa die Arbeitslosigkeit oder die Beschäftigungslage übertragen.

Wenn ich sage der Arbeitsmarkt funktioniert genauso wie der Äpfel-

markt, dann kann ich ja beobachten: Wenn ein Äpfelhändler auf sei-

nem Äpfelangebot sitzen bleibt, hat er einen zu hohen Äpfelpreis ver-

langt und muss das nächste Mal die Äpfel billiger verkaufen. Diesem

Beispiel folgend wird gesagt: Wenn die Anbieter von Arbeit, das sind

die Arbeitnehmer, auf ihrem Angebot sitzen bleiben, dann haben sie

eben einen zu hohen Preis verlangt und die Löhne müssen gesenkt

werden.

Dieses einfache Modell ist jetzt die Basis der Politik der Euro-

päischen Union. Das ist die theoretische Basis für die Aussage „weg

mit Kollektivverträgen“, weil bei Kollektivverträgen dieser „Markt-

mechanismus“ ausgehebelt wird, denn die Gewerkschaften verhan-

deln für alle Arbeitnehmer die Mindestlöhne, die ja quasi einen

Preisverfall am Arbeitsmarkt verhindern.

Das Analoge dazu ist jetzt die Sparpolitik, indem man sagt: Wenn ich

nur den Marktmechanismus wirken lasse, dann würde die Konkur-

renz aller auf den Märkten zum allgemeinen Besten führen. Das ist

diese Metapher von der unsichtbaren Hand des Marktes, die letztlich

zu Vollbeschäftigung führt, wenn der Staat nicht eingreift. Das für

mich schon an Wahnsinn grenzende ist, dass diese Heilsbotschaften

Politische Bildung

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